Portrait – Sid Sackson

Mit Erschrecken stellte ich unlängst fest, dass der letzte Beitrag in meiner kleinen Portrait-Reihe schon über ein Jahr her ist und das obwohl der nächste Beitrag dafür schon seit Ewigkeiten halbfertig herumlag. Nun wird es höchste Zeit einem der alten Meister der Brettspielzunft seine posthume Würdigung meinerseits zu erbringen. Sid Sackson ist der erste in dieser Reihe, der bei Erstellung des Portraits bereits von uns gegangen ist. Klaus Teuber als erster der Reihe, lebte seinerzeit noch, ist aber vor Kurzem leider verschieden. Viele der Jüngeren Spielefans werden Sid Sackson vielleicht gar nicht mehr kennen, denn viele seiner Spiele sind bereits älteren Datums und wirken vielleicht auf viele etwas veraltet. Ja vielleicht widersprechen sie dem momentanen Zeitgeist sogar, denn Sid Sackson war der Meister der Simplizität. Ihm lag nie viel an hervorragendem Material oder bestechender Optik, ja, aufwendiges Spielmaterial sollte sogar seiner Meinung nach vermieden werden. Für ihn kam immer zuerst das simple Spieldesign. Die heutzutage vielzitierte Phrase „Simply to learn, a lifetime (hard) to master!“ wird ihm ebenfalls zugeschrieben und dürfte seine Autorenphilosophie verdeutlichen. Sid Sackson ist ohne Zweifel eine wichtige Gestalt der Spielehistorie und sollte auch heute noch Beachtung finden, denn sein Schaffen wirkt bis heute nach.

Sid Sackson wurde am 4.2.1920 in Chicago geboren und nach eigener Aussage begann sein Interesse, sich Spiele auszudenken bereits in der Grundschulzeit. In einer Annekdote erzählte Sackson einst, dass sein Grundschullehrer sich seine Arbeit recht einfach machte und an die Kinder ausgerissene Zeitschriftenseiten austeilte, auf denen die Kinder alle Wörter einkreisen sollten, die sie kannten. Den Wörtern schenkte Sackson damals kein Interesse, sondern in seiner Phantasie verband er die Kreise untereinander und dachte sich Gesetzmäßigkeiten aus und erdachte Regeln für die Bildung von Ketten aus Kreisen. Dieses Verhalten begleitete ihn ständig während seiner Kindheit. Ab und zu begleitete er seinen Vater, einen Vertreter, auf Reisen und verbrachte viel Zeit mit Warten, während sein Vater an den Türen verkaufte. In dieser Zeit entstanden in seiner Phantasie viele neue Spiele, die nie das Licht der Welt erblickten, aber seinen Geist wohl darauf vorbereitete, was da noch kam. Der Legende nach entstand die Grundlage für seinen späteren Welterfolg Acquire bereits im Alter von 8 Jahren als Papier und Bleistiftspiel.

Seine Familie zog recht früh nach New York, wo er danach Zeit seines Lebens lebte. Er nahm ein Studium im Bereich der Stadtplanung auf und schloß dieses auch erfolgreich im Jahr 1943 ab. Als Ingenieur war er sogar an einem technischen Wunderwerk seiner Zeit beteiligt, denn die Verrazano Narrows Bridge über der Hafeneinfahrt von New York entwickelte er mit und im Jahr 1964 war diese zeitweise die längste Hängebrücke der Welt. Das aber nur am Rande, denn seine Leidenschaft galt dem Hobby aus den Kindertagen: Spiele erdenken und das Ausprobieren derselben. Das führte bereits im Jahr 1946 zu seiner ersten Veröffentlichung und seinem ersten Spielehonorar. Poke war eine Art Poker für zwei Personen, die Anleihen von Poker und Bridge in sich vereinte.

Zunächst ging seine Autorenlaufbahn genauso weiter. Er arbeitete als Ingenieur in New York und erfand immer mal wieder nebenbei ein kleines Spiel, das in einer Zeitschrift veröffentlicht wurde. Privat drehte sich bei ihm alles um das Spielehobby. Selbst als er seine langjärige Frau Bernice kennenlernte änderte sich das nicht, denn sie war in dieser Hinsicht die perfekte Parterin für den spieleverrückten Sackson. „Sie wollte lieber Spielen als Schmusen“, wird er zitiert und sie luden oft Freunde zu Spieleabenden ein. Zu dieser Zeit begann wohl auch seine Sammelleidenschaft für Spiele und Spielmaterial. Bernice und Sid hatten auch zwei Kinder, die ganz im Gegensatz zu den spielenden Eltern völlig aus der Art schlugen und sich eher anderen Dingen widmeten.

1958 dann kam es für ihn zu einer schicksalhaften Begegnung während einer Spielepräsentation. Er traf einen anderen Spieleerfinder, der bereits über einige Kontakte zu damaligen Firmen über seinen Manager unterhielt. Dieser Erfinder brachte Sid mit seinem Agenten zusammen der ihm irgendwann sogar einen Vertrag mit Milton Bradley einbrachte für die er das Spiel High Spirits erfand. Damit hatte er einen Fuß in der Tür und veröffentlichte in den nachfolgenden Jahren mehrere sehr respektable Spiele unter anderem ein einfaches Strategiespiel für bis zu vier Spieler*innen mit dem Namen Focus, sowie das Spiel Acquire im Jahr 1963 und 1964, das zu seinem größten Erfolg werden sollte und sich über eine Millionen mal verkaufte.

Durch seine Erfolge beflügelt, schrieb er auch ein Buch, indem er etwas über das Erfinden von Spielen erzähle und vor allem auf die Simplizität einging. Er beschrieb viele einfache Spiele für die jeder nicht mehr als ein bißchen Papier und Stifte, Karten und ein paar Pennys als Spielsteine benötigte. A Gamut of Games, in deutsch Spiele – anders als andere, erschien 1969 und ist bis heute eines der wenigen Standardwerke der Spieleliteratur.

Nach wie vor war Sid Sackson nur im Nebenberuf als Spieleerfinder tätig, was sich aber im Jahr 1970 schlagartig ändern sollte. Als er wieder einmal Urlaub benötigte, um zu einer Ausstellung zu fahren, auf der seine Spiele präsentiert werden sollten. Der Arbeitgeber verweigerte den Urlaub und Sid kündigte kurzerhand seinen Job. Er überlegte nur kurz und dachte sich, das Haus ist bezahlt und Bernice trug die Entscheidung voll mit. Sein Haus in der Bronx war zu diesem Zeitpunkt schon zu einer Art Spielatelier mit Spielemuseum geworden. Zwei Wohnräume und der gesamte Keller waren, dank seiner Sammelleidenschaft mit Spielen vollgestopft.

Sein anhaltener Erfolg ermöglichte es ihm einer der ersten hauptberuflichen Spieleautoren zu sein. Ein ganz besonderer Verdienst für die Autorenzunft ist die Tatsache, das er als erster Autor vertraglich durchgesetzt hat, dass sein Name auf der Schachtel stand. Etwas, das bis zu diesem Zeitpunkt absolut unüblich war.

Sid Sackson verstarb am 6.11.2002 im Alter von 82 Jahren. Er hinterlies eine der umfangreichsten Spielesammlungen der Welt mit seinerzei rund 20000 kompletten Titeln, sowie weiteren Informationen und Spielmaterial von 30000 weiteren Titeln in 13 verschiedenen Sprachen. Eine gigantische Sammlung mit Raritäten nur so vollgestopft. Seine frau Bernice und die Kinder Dale und Dana versteigerten seine Sammlung an Fans und Liebhaber in einer Serie von mehreren Auktionen zu denen Freunde und Samler aus der ganzen Welt anreisten. Im Jahr 2005 verstarb auch Bernice Sackson.

Sackson hinterließ aber nicht nur seine gigantische Spielesammlung, sondern veröffentlichte über die Jahre auch eine beträchtliche Anzahl an Spielen von denen einige zu Welterfolgen wurden und sich millionenfach verkauften. Außerdem war er an der besonderen 3M-Bücherserie beteiligt, die als erstes Produkt für Erwachsene galt, da die Spiele allesamt in Schachteln erschienen, die wie Bücher aussahen und so auch in einem Hausahlt im Bücherregal stehen konnten ohne nach Kinderzimmer auszusehen. Darüber hinaus war Sackson als Nachteule verschrien und war immer sehr lange nachts wach und erledigte seine Korrespondenz und schrieb eifrig Tagebuch über die Entwicklung von Spielen.

Obwohl er aus den USA kommt, ist sein Ansatz an Spiele eher der, für den die europäischen Spiele später bekannt wurden. Damit könnte man ihn als Vater der Eurogames bezeichnen, lange bevor diese den Spielemarkt Mitte der 90er Jahre übernahmen.

Mein persönlicher Kontakt mit Spielen von Sid Sackson ist wahrlich nicht so ausgeprägt, wie bei anderen Autoren dieser Portraitreihe bisher, was zum einen daran liegt, dass viele seiner Spiele schon deutlich älter sind als ich und es mitunter nicht in die jetzige Zeit geschafft haben. Zum anderen bin ich nicht der größte Fan von Spielen, die im abstrakten Strategiebereich zu Hause sind oder sich mit Wirtschaft auseinandersetzen. Das waren aber neben der simplen Spielweise die Kernkompetenzen eines Sid Sackson. Dennoch war mein erster Kontakt natürlich der mit seinem größten Hit Acquire. Das kam damals in einer recht hübschen Variante von Schmidt Spiele auf den deutschen Markt und irgendeiner meiner damaligen Schulfreunde hatte das Spiel. Es faszinierte mich und machte mir durchaus Spaß, aber eine eigene Kopie besaß ich nie. Can´t Stop war dann das zweite seiner Spiele das ich mal mitgespielt habe, aber besonders begeistert hat es mich leider nie. Anders sieht es tatsächlich mit Focus aus. Das Spiel fasziniert mich bis heute, da es wirklich eines der wenigen abstrakten Strategiespiele ist die tatsächlich gut mit bis zu vier Personen funktioniert. Ansonsten kreuzten nur Samarkand und Metropolis einmal meinen Weg. Ihr seht, ich bin also kein ausgemachter Experte für die Spiele von Sid Sackson.

Trotzdem wurden viele seiner Spiele international und auch bei uns mit guten Platzierungen bei den Spielepreisen bedacht. Allen voran natürlich Acquire, welches zwar schon in den sechziger Jahren erschien, aber bei uns erst Ende der 70er vor der Tür stand. Die Pöppel Revue verlieh damals den Goldenen Pöppel, einen Publikumspreis, der als Gegenpol zum Spiel des Jahres fungieren sollte, der ja ein Jurypreis ist. Die Leser vergaben den Preis 1979 an Acquire und 1982, sowie 83 landete das Spiel jeweils auf dem dritten Platz. 1986 und 1987 konnte es sich erneut jeweils auf dem zweiten Platz platzieren. Das allein zeigt wie beliebt das Spiel über Jahre hinweg war. Ebenfalls 1979 landete es auf der Auswahlliste zum Spiel des Jahres. 1993 wurde es dann nochmal fünfter beim Nachfolger des Goldenen Pöppels, dem Deutschen Spielepreis. In diesem Jahr gewann es auch die Essener Feder für seine beispielhafte Regel.

Acquire war zwar das erfolgreichste seiner Spiele, aber nicht das einzige, das Preise gewann. Das bereits erwähnte Can´t Stop landete 1981 auf der Auswahlliste für das Spiel des Jahres. 1984 gelang das mit Metropolis erneut. Den Preis für das Spiel des Jahres gewnn er allerdings, als erster Amerikaner, im Jahr 1981 mit Focus, welches ja auch schon in den sechziger Jahren in den USA herauskam.

Sid Sackson war wohl einer der international bekanntesten und erfolgreichsten Spieleautoren in einer Zeit, als es nur eine überschaubare Menge an Brett- und Kartenspielen gab. Er war wohl für viele eine Inspiration und lieferte viele Mechaniken, die vorwegnahmen, was wesentlich später in den Eurogames umgesetzt und die breite Masse erreichen sollte. Für ihn war das Thema eines Spiels weniger wichtig, sondern eher die Mechaniken, was, wenn wir uns den heutigen Markt anschauen, für einen Amerikaner eher ungewöhnlich ist. Legen viele amerikanische Spiele doch mehr wert auf Themen, als denn auf fordernde Mechanismen. Sid Sackson war der Meister der einfachen, aber ausgefeilten Regeln.

Bekannteste Werke von Sid Sackson:

  • Acquire (1964)
  • Can´t Stop (1980)
  • Diamantenjagd/Sleuth (1971)
  • Kohle, Kies & Knete/I´m the Boss! (1994)
  • Bazaar (1961)
  • Samarkand (1980)
  • Focus (1963)
  • Die Bosse/Venture (1969)
  • Buy Word (2004)
  • Bowling Solitaire (1969)
  • Metropolis (1984)

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