
Bluffspiele sind eigentlich gar nicht so sehr mein Ding. Auch stehen so super konfrontative Spiele bei uns gar nicht hoch im Kurs und dennoch musste ich mir Agent Avenue zulegen, als ich zum ersten Mal etwas davon hörte und vor allem sah. Das liegt nämlich vor allem an der phänomenalen Optik, mit der die Illustratorin Fanny Pastor-Berlie dieses kleine Spiel versehen hat. Darüber hinaus ist hier aber auch ein Mechanismus verbaut, der Bluffspiele für mich ertragbar macht und den ich schon beim guten Hanamikoji sehr geliebt habe: „I Split, You choose“ nennen die Gamer diesen in ihrem Jargon. Zu Deutsch halt „Ich teile, du wählst“. Vielmehr braucht es dann auch schon fast gar nicht, um ein mehr als interessantes Spiel zu inszenieren. Das Ehepaar Christian und Laura Kudahl aus Dänemark liefert hier mit ihrem Erstling ein erstaunliches Debüt ab, mit dem ich vorher so nicht gerechnet hatte. Vielleicht ist es sogar ein Spiel, das wir in nicht allzu ferner Zukunft auch beim Spiel des Jahres in irgendeiner Form wiedersehen werden. Mal schauen.
Worum geht es?
Hund und Katze sagen sich in dieser Vorstadtidylle zwar nicht gute Nacht, denn das tun ja schon Fuchs und Hase, aber sie bespitzeln sich als Agenten zweier Geheimdienste. Sie leben in derselben Nachbarschaft und verfügen über die gleichen Agentenkollegen. Wer den anderen zuerst beim Spionieren erwischt, gewinnt. Dazu bewegen wir unsere Figuren um ein Rondell herum und wer den anderen zuerst einholt oder überläuft, gewinnt. Um dieses Ziel zu erreichen spielen wir Karten in unsere Auslage, die wir durch den oben bereits erwähnten Mechanismus erlangen konnten.

Wie läuft das ab?
Auspacken, hinlegen, mischen und loslegen. In der kleinen Schachtel finden wir ein kleines zweiseitiges Spielbrett samt zweier Holzfiguren, die die beiden Agenten zeigen. Zwei Sorten Karten finden wir natürlich auch noch in der Schachtel. Die 15 sogenannten Schwarzmarkt-Karten ignorieren wir vorerst, die sind nur für den fortgeschrittenen Modus. Die anderen insgesamt 38 Agenten-Karten mischen wir zu einem verdeckten Stapel. Beide Spieler*innen erhalten vier Handkarten und wer zuletzt einen Agentenfilm gesehen hat beginnt die Partie.

Zwischen beiden Agenten auf dem Spielfeld liegen genau sechs Felder, so dass wir sieben Felder brauchen um den Sieg zu erreichen. Natürlich ist dieser Abstand im Spielverlauf dynamisch. Wer an der Reihe ist führt drei Schritte aus. Zunächst werden zwei Karten in die Tischmitte ausgespielt. Eine aufgedeckt und die andere verdeckt. Wichtig ist dabei, dass beide Karten unterschiedliche Kartennamen haben müssen. Danach werden sofort wieder zwei Karten nachgezogen. Der oder die Gegenspieler*in muss nun eine der zwei Karten für sich rekrutieren. Die andere wandert in unseren Besitz. Die beiden Spieler*innen legen die Karten offen in die eigene Auslage aus. Anschließend werden die Karten noch abgehandelt. Die Karteneffekte finden dabei gleichzeitig statt. Hat dann jemand der beiden durch eine Siegbedingung gewonnen ist die Partie vorbei oder es geht weiter indem der- oder diejenige an der Reihe ist, der zuvor gewählt hat.

So läuft das Spiel ab. Was ist nun aber auf den Karten zu sehen. Insgesamt gibt es acht verschiedene Agenten-Karten. Doppelagentin, Vollstrecker, Codeknackerin, Saboteur, Draufgänger und Aufpasser sind jeweils sechs Mal vertreten. Hinzu gibt es noch einen Maulwurf und einen Gehilfen. All diese Karten weisen am linken Rand Zahlenwerte auf. Die Karten die sechsmal vorhanden sind je drei Werte untereinander und die beiden einzelnen nur einen Wert. Wir bewegen unsere Spielfigur nach dem auslegen der Karte genauso viele Felder weiter wie der Wert angibt, der der Anzahl unserer offenen Karten entspricht. Sollten wir mehr als drei von einer Sorte ausliegen haben, wird der dritte Wert erneut benutzt. Dabei gibt es, ihr könnt es euch denken, gute und schlechte Karten. Ein Saboteur zum Beispiel ist nie gut und sorgt immer dafür, dass ich rückwärts ziehen muss. Die Vollstreckerin hingegen sorgt für Fortschritt. Auch die Aufpasser sind äußerst nützlich, wenn ich mehr von ihnen bekomme. Eine Sonderrolle haben der Draufgänger und die Codeknackerin, denn sollte es uns gelingen von einem dieser beiden drei Karten offen ausliegen zu haben, haben wir im Falle des Draufgängers sofort verloren und durch die Codeknackerin sofort gewonnen. Ihr seht, daraus lassen sich feine Bluffereien entwickeln mit denen wir unser Gegenüber unter Zugzwang setzen können.


Nachdem normalen Modus gibt es dann noch die fortgeschrittene Variante mit dem Schwarzmarkt. Dazu drehen wir das Spielbrett um und finden nun in den vier Ecken des Spielfelds ein Symbol für den Schwarzmarkt. Die Karten des Schwarzmarkts werden gemischt und drei von ihnen offen ausgelegt. Wer es schafft durch seinen Zug auf einem der Symbole zu landen, darf eine der offenen Karten für sich beanspruchen. Einige Karten haben Soforteffekte, wie zum Beispiel der „Wohlverdiente Urlaub“, durch den ich eine Karte aus meiner Auslage nochmal auf die Hand nehme und ihn sofort nochmal rekrutieren darf. Andere Karten haben aber auch dauerhafte Effekte, die ich in meine Auslage vor mich lege und immer dann anwende, wenn die Bedingung eintrifft. Der „Fluchtwagen“ zum Beispiel wird immer ausgelegt, wenn ich genau auf mein Startfeld ziehe und bringt mich weitere drei Felder nach vorn.
Das Fazit
Agent Avenue empfinde ich als äußerst kurzweiliges Spiel, bei dem wir unser Gegenüber so richtig in was reinquatschen können. Ich mag diesen Mechanismus sehr gerne, denn es liegt nicht nur an mir. Zu einem erfolgreichen Bluff gehören immer zwei und beide bekommen etwas aus dem Deal. Natürlich entfaltet sich im Laufe einer Runde die Dynamik erst und verändert sich zum Vor oder Nachteil. Hat mein Gegenüber schon zwei Draufgänger offen ausliegen kann ich Druck machen und bekomme wahrscheinlich recht gute Deals durch. Die Karten sind dabei sehr gut ausgewogen und bieten im Spielverlauf immer wieder interessante Entscheidungen.

Der Schwarzmarkt ist für mich ein zweischneidiges Schwert. Manche Karten sind extrem hilfreich, andere ein bisschen weniger und mir kam es des Öfteren so vor, dass eine Partie Agent Avenue durch diesen ein bisschen beliebiger wurde und nicht mehr ganz so viel Taktik und Bluffgefühl verlangte. Aber bevor es langweilig zu werden droht, kann erstmal richtig was an Partien gespielt werden. Die Karten bieten dafür genug Potential. Ein rundherum gelungenes Spiel, dessen hervorragende Optik durch lauter verschiedene Karten nur noch gekrönt wird. Gefällt mir.
- Verlag: Nerdlab Games
- Autor(en): Christian Kudahl, Laura Kudahl
- Illustrator(en): Fanny Pastor-Berlie
- Erscheinungsjahr: 2024
- Spieleranzahl: 2 Spieler*innen
- Dauer: 10-15 Minuten