Der Legende nach hat Rabbi Löw im 16. Jahrhundert einen Golem erschaffen, um die gegen die Juden gerichteten Pläne und Feindseligkeiten zu unterbinden und einen Schutz zu schaffen. Rabbi Löw formte mitsamt seinen Gehilfen den Körper eines Menschen aus Lehm und hauchte ihm über ein Ritual leben ein. Soweit die Legende. Die Spieleautoren Virginio Gigli, Flaminia Brasini und Simone Luciani kleideten im letzten Jahr die Legende in ein komplexes Eurogame. Die drei Autoren gehören zu den faszinierenden, italienischen Autoren, die seit Jahren in diversen Kombinationen so tolle Eurogame Titel wie T’zolkin, Grand Austria Hotel, Lorenzo il Magnifico, Die Reisen des Marco Polo, Coimbra und Alma Mater veröffentlichen. Einige dieser Spiele sind zugänglicher und einige sind komplexe Biester, aber alle haben im Grunde eine vielschichtige Verzahnung ihrer Mechanismen gemeinsam. Golem ist da keine Ausnahme, wahrscheinlich ist es sogar das komplexeste ihrer Werke und daher mit Sicherheit kein Spiel für jeden. Da ich mich in letzter Zeit aus diesem Segment ein bißchen zurückgezogen habe und nur noch ab und zu ein sehr komplexes Euro auf den Tisch bringe war ich gespannt, wie wir mit diesem Brecher klarkommen würden, aber irgendetwas an dem Spiel hat mich angezogen und ich wollte es ausprobieren. Wie ich es fand könnt ihr heute erfahren.
Worum geht es?
Es ist ein Eurogame und also kann die Antwort nur Punkte heißen. Das Thema ist natürlich eigentlich fast egal, aber hier wurde sich der Legende um Rabbi Löw angenommen. Eine faszinierende Geschichte aus dem 16. Jahrhundert in der ein Golem aus Lehm gefomt und zum Leben erweckt wird. Genau das tun wir in diesem Spiel thematisch auch. Wir erschaffen gleich mehrere Golem und lassen sie für uns Arbeiten. Unsere Studenten müssen auf sie aufpassen, damit sie nicht außer Kontrolle geraten. All das sind unsere Aufgaben, während wir versuchen Multiplikatoren zu sammeln und am Ende die meisten Punkte zu generieren.
Wie läuft das ab?
Golem ist viel zu komplex, um einen kompletten Überblick über das Regelwerk und das Spielgeschehen zu liefern. Ich werde mich deshalb nur grob an einigen Dingen entlang hangeln, bevor ich in einem ausgedehnteren Fazit auf mehrere Dinge eingehe.
Das Ziel von Golem sind, wie bei fast jedem anderen Eurogame, Punkte und die erreichen wir zu einem großen Teil über unser großes Spieler*innentableau welches in drei Farbbereiche eingeteilt ist. In diesen Bereichen gilt es verschiedene Errungenschaften freizuschalten. Überall im gesamten Spiel finden wir immer wieder das Zeichen der Menora (der Leuchter für die sieben Kerzen). Die Menoras einer Farbe ergeben am Ende den Multiplikator den ich für einen Bereich erspielen kann. Jeder dieser Farbbereiche punktet dann aber wieder anders. Zum Beispiel können wir im roten Bereich zusätzliche Golem-Figuren erhalten und die Fähigkeiten unserer Golems auch noch verbessern, indem wir einzelne Körperteile aufwerten. Für jede dieser Fähigkeiten erhalten wir mindestens eine Menora und grob gesagt multiplizieren wir sie am Ende mit der Anzahl der erschaffenen Golems. Auf diese Weise funktionieren die beiden anderen Farbbereiche genauso. Es gibt Menoras die wir freischalten können und am Ende wird die Anzahl mit den freigespielten Bücherspalten unseres Tableaus und den erschaffenen Artefakten multipliziert. Das ist aber natürlich noch nicht alles, denn in Golem gibt es auch noch Zielkarten und punkte die wir einfach während des Spiels bekommen. Das klingt erstmal gar nicht so schwierig, aber in Wahrheit ist alles sehr eng miteinander verzahnt, viel verwobener und auch deutlich komplizierter, als sich das hier anhört.
Die Idee hinter den Golems in diesem Spiel ist, dass sie über zwei Eigenschaften verfügen. Zum einen sind sie sehr fleißig und können für uns auch die schwierigsten Aufgaben erledigen und zum anderen sind sie nur schwer zu kontrollieren. Von Beginn an verfügen wir über zwei dieser Gesellen, die auf zwei der drei Straßen des Spielfeldes für uns ackern können. Die drei Straßen korrespondieren mit den Farben unseres Tableaus. Auf den Feldern dieser Straßen können sie, während sie unentwegt geradeaus stapfen immer lukrativere Aufgaben erledigen. Allerdings sind die schwerfälligen Gesellen, wie erwähnt, schwer zu kontrollieren. Sind sie einmal in Schwung, halten sie nicht so leicht wieder an. Unsere Studenten begleiten sie deshalb und sollten den Abstand zu ihnen nicht zu groß werden lassen, denn dann wird es teuer für uns.
Der Hauptmechanismus des Spiels ist eine Mischung aus Aktionswahl mit Arbeitereinsatz. Dabei ist das Spiel in nur vier Runden á drei Aktionen eingeteilt und das macht schon deutlich, dass hier jeder Zug sitzen muss, denn der Spielraum scheint auf den ersten Blick nicht groß zu sein. Die drei Aktionen sind dann auch noch unterschiedlich, denn eine muss ich mit meiner Rabbifigur ausführen, indem ich ein Aktionsfeld besetze. Diese Aktionen sind in jeder Runde allerdings verschieden, da sie rotieren. Die beiden verbliebenen Aktionen muss ich durch Murmeln erzeugen. Diese werden nämlich am Beginn der Runde in die Synagoge geworfen und kommen unten auf fünf Murmelbahnen wieder heraus. Zu jeder Bahn gehört eine eigene Aktion. Die Murmeln haben verschiedene Farben, die alle von Bedeutung sind und die Anzahl der Murmeln in einer Bahn ist genauso entscheidend, denn sie gibt die Stärke der Aktion vor. Wenn ich mich für eine Murmel entschieden habe, wird die Aktion für die Mitspieler*innen also schwächer. In welcher Reihenfolge ich meine drei Aktionen ausführe ist aber mir überlassen. Ich kann zuerst ein Feld mit meinem Rabbi blockieren oder die Aktionen für die Nachnehmer*innen schwächen.
Die Aktionen sind in den meisten Fällen in mehrere kleiner Aktionen geteilt. So könnte ich zum Beispiel mit einer Aktion Ressourcen bekommen, einige davon dazu benutzen einen Golem zu erschaffen und auf einer der Straen einzusetzen und dann dürfte ich weitere Ressourcen dazu benutzen seine Fähigkeiten zu verbessern. Hier können dann auch noch weitere Effekte ausgelöst werden, so dass kleine Kettenzüge entstehen. Die Anzahl der Ressourcen in diesem Beispiel hängt dann von der Anzahl der Murmeln in der Murmelbahn ab. Zusätzlich bestimmt die Farbe noch ob und wenn ja welche Studenten ich bewegen darf. Dabei gibt es auch noch schwarze und weiße Murmeln, mit denen ich entweder gar keine oder eine beliebige Farbe bewegen darf. All das führt immer wieder zu schwierigen Abwägungen und Entscheidungen. Denn selten bekomme ich all das, was ich mir für einen Zug wünschen würde, geschweige denn lassen es mir meine Mitspieler*innen übrig. Darüberhinaus kann ich in Golem auch nicht alles gleichzeitig machen, denn am Ende zählen starke Multiplikatoren einfach mehr Punkte. So sollte ich mich in den zwölf Zügen auf gewisse Dinge einschießen, so dass ich mich, wie bei solchen Spielen so oft, vor dem Dilemma sehe, alles machen zu wollen und leider nicht alles gleichzeitig machen zu können. Drei Aktionen pro Runde sind einfach nicht genug dafür.
So viel mehr möchte ich an dieser Stelle gar nicht sagen, denn so, ganz grob, funktioniert das Spiel. Zusätzlich sollte ich vielleicht an dieser Stelle noch die Zielkarten einwerfen, die von mir für Punkte diverse Dinge verlangen und je mehr unterscheidliche Ziele ich schaffe, desto besser für meine Punkte.
Das Fazit
Golem an sich bietet nichts Neues an. Alles sind Dinge, die aus anderen Eurogames stammen könnten. Für Spieler*innen die auf solch komplexe Eurogames stehen, bietet Golem genug Futter, es auszuprobieren. Dieser Spieler*innengruppe ist es eh egal. ob sie Innovation bekommen, sie wollen immer wieder neue verzahnte Spiele, die Herausforderungen bieten, die sie zuvor noch nicht hatten. Das bekommen sie hier auf jeden Fall, auch wenn Golem ohne gänzlich neue Mechniken daherkommt. Viele der komplexen Euros können sich nach Arbeit anfühlen und wenig Spaß bieten, wenn sie sich in ihrer Kompexität verlieren und manchmal nur aus Gründen der Schwierigkeit komplex sind. Diese Art Spiele wird dann gut, wenn sie eine Fokussierung auf ihre Idee liefern und mir einen Spielplatz der Möglichkeiten liefern. Wenn das ganze dann einen guten Mechanismus hat und mit einer gewissen Gradlinigkeit und Eleganz einhergeht, habe ich, der ich inzwischen viele dieser komplexen Titel Links liegen lasse, dennoch vermehrt Lust mich mit einem solchen Brecher auseinanderzusetzen. Das ist hier definitv der Fall, denn Golem bietet genügend Stellschrauben, an denen ich mich in einer Partie ausprobieren und in Experimentierfreude ergehen kann. Kurz gesagt: ich mag Golem auch wenn ich ständig am nachrechnen bin, ob das mit den Ressourcen, die ich bekomme und ausgeben kann, so hinhaut, wie ich mir das vorstelle. Wenn ich das schon tue, möchte ich nicht wissen, wie das mit den zusteingewordenen Überanalysieren von Statten geht. Die Gefahr für Analyse Paralyse besteht auf jeden Fall.
Golem hat aber auch ansonsten ein paar Schwächen, die ich nicht verschweigen sollte. Einige davon sind redaktioneller Natur und die handel ich mal zuersst ab. Die Synagoge/Die Murmelbahn ist ziemlicher Humbug. Das Ding ist viel zu groß und überdimensioniert. Natürlich ist mir klar, dass es die Murmeln auch vernünftig aufnehmen muss, aber so ist das ein Witz. Es steht einfach nur im Weg rum, versperrt für einen Teil der Spieler*innen die Sicht und ist im Prinzip nur ein Durchwurf, denn im inneren gibt es keinen Mechanismus, der die Murmeln durcheinanderwirbelt. Sie fallen einfach an der Stelle stumpf wieder heraus, wo ich sie reingeworfen habe. Und da das Teil so groß ist, kann ich mir aussuchen auf welcher Seite ich das mache und so die Aktionen beeinflussen. Das ist einfach nicht gut durchdacht. Dann ist die Farbgebung des Spielbretts ein Graus und auf der dritten Bahn liegen plötzlich andersfarbige Aktionsplättchen. Verstehe ich nicht. Das Regelheft ist aber tatsächlich fast das schlimmste, denn ein so komplexes Spiel, wird hier eindeutig zu kurz abgefrühstückt. Ich vermute es sollte nicht zu sehr abschrecken, denn eigentlich verfügt es über einen guten und langen Anhang und auch der Spielaufbau wird Schritt für Schritt erklärt. So wie es für ein solches Spiel sein soll, allerdings finden sich bei Spielaufbau schon ein paar Ungenauigkeiten ein und auch nach dem Regelstudium bleiben bei mir einige Fragen offen. Ziehe ich die beiden erwähnten Teile ab, so komme ich auf gerade einmal neun Seiten Regeln. Kaum vernünftig bebilderte Beispiele und ausführlich beschriebene Situationen. Ebenfalls nicht unerwähnt sollte bleiben, dass allein der Aufbau von Golem schon einiges an Zeit verschlingt. Es gibt viele Teile die vorbereitet und ausgelegt werden müssen. Hier sollte Zeit eingeplant werden.
Der größte Kritikpunkt, der gegen Golem spricht, ist aber mal wieder einer, der mich schon zu einem eigenen Beitrag getrieben hat. Die wahnsinnige Spielgröße. Während ich in meinem Beitrag einige Beispiele für viel zu große Spiele liefere, schießt Golem dann aber endgültig den Vogel ab. Auf unserem großen Tisch ist das Spiel zu viert nicht spielbar. Das Spielbrett ist riesengroß und absolut überdimensioniert für das, was da auf ihm passiert. Daneben wird noch Platz für das Murmeldisplay und die Synagoge gebraucht. Die Aktionsbretter die davor liegen sollten, sowie ein mehrteiliges Tableau für jede*n Spieler*in noch dazu. Wirklich heftig. Passt für vier Spieler*innen nicht auf einen 1,80m mal 90cm Tisch. Was stimmt mit euch nicht? Wenn der Platz wenigstens „gebraucht“ würde, aber nein, alles ist einfach nur überdimensioniert. Na ja, seid auf jeden Fall gewarnt.
Ich fasse also zusammen. Ihr sucht ein super verzahntes, komplexes Eurogame, dass mit eleganten Mechanismen in vielen Spielen unterschiedliche Erfahrungen bietet und euch zum Erforschen des Spiels einlädt? Dann solltet ihr Golem eine Chance geben, wenn ihr über einen riesengroßen Tisch verfügt, vor erweitertem Regelstudium nicht zurückschreckt und durchaus Lust habt zwanzig Minuten eine Partie vorzubereiten.
- Verlag: Asmodee, Cranio Creations
- Autor(en): Virginio Gigli, Flaminia Brasini, Simone Luciani
- Illustrator(en): Roberto Grasso
- Erscheinungsjahr: 2021
- Spieleranzahl: 1 – 4 Spieler*innen
- Dauer: 90 – 120 Minuten