Aus aktuellem Anlass und vor der Spiel 2018 wollte ich unbedingt etwas zu diesem Thema schreiben, deshalb fällt das heutige Spieltagebuch leider aus. Der aktuelle Anlass ist meine Beschäftigung mit dem „Spiel“ This War Of Mine, dass ich in meiner Review zum Spiel als Kunst bezeichnet habe. Das möchte ich mal als Auslöser für ein paar generelle Überlegungen zum Thema kontroverse Spiele, oder kontroverse Spielethemen nehmen und es mit dem Kunstbegriff verknüpfen, denn die Spiel 2018 scheint mir ein guter Anlass dafür zu sein denn zum einen wird ein weiteres Kontrovers betrachtetes Spiel, Holding On – Das bewegte Leben des Billy Kerr, dort erscheinen und zum anderen findet dort eine Podiumsdiskussion zum Thema „Kulturgut Spiel“ statt. Sind Spiele überhaupt ein Kulturgut und dürfen Spiele kontrovers sein?
Aber fangen wir Vorne an, bei den Spielen. Ab und zu erscheint ein Spiel, und ich habe das Gefühl das es sich in der letzten Zeit häuft, dass für Aufregung und Diskussionsstoff sorgt, weil es sich eines Themas bedient, dass zu schwer, zu gravierend für ein Brettspiel zu sein scheint. Nehmen wir This War Of Mine aus diesem Jahr, dass sich der Thematik des Überlebens während eines Bürgerkrieges witmet. Darf ein Spiel das? Oder ist es dann aufgrund der Thematik kein Spiel mehr.
Spiel ist eine Tätigkeitsform, Spielen eine Tätigkeit, die zum Vergnügen, zur Entspannung, allein aus Freude an ihrer Ausübung ausgeführt werden kann.
Nehmen wir diese moderne Definition des Spiels zur Hand, so kann man This War Of Mine wahrscheinlich nicht als Spiel bezeichnen, denn Vergnügen und Entspannung bereitet es einem definitiv nicht. Spannung und Unbehagen trifft es schon eher. Ständig ringt man an der Schwelle des Todes mit den Befindlichkeiten seiner Charaktere und muß mit jeder Aktion dafür sorgen ihr Leid im Krieg ein wenig erträglicher zu machen, sofern das überhaupt möglich ist.
Ziehen wir aber die alte Definition von Johan Huizinga hinzu, so sieht das Ganze schon anders aus:
Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘.
Huizinga war Kulturanthropologe und vertrat stets die Meinung, dass das Spiel in den Menschen verankert ist und das Kultur zuerst von Menschen gespielt wird, bevor sie zu dem wird, was sie ist, etwas vom Menschen selbsterstelltes Hervorgebrachtes. Wenden wir das obige Zitat auf This War Of Mine an, so passt das schon besser, denn bis auf die Freude, die er erwähnt passt das ganz gut. Speziell die letzte Passage passt sehr gut, denn wenn man es spielt, ist man sich des Andersseins schon bewusst, für die meisten ist das, was man dort spielt nur auch nicht das „gewöhnliche Leben“.
Spiele müssen also nicht unbedingt Spaß machen, manchmal reicht auch das Erleben bestimmter Vorgänge und der spielerische, weil nicht echte Umgang mit ihnen aus, um sie zu definieren. Manche Menschen haben da Skrupel so etwas zu „spielen“, vielleicht wäre erleben der bessere Ausdruck, weil es ihnen eben keinen Spaß macht. Vielleicht sind solche Spiele dann aber auch besonders empfehlenswert, weil man mit ihnen Dinge erfahren kann, die sonst unmöglich wären, oder Situationen erfordern in die sich ein Mensch bei gesundem Menschenverstand freiwillig nicht begeben würde.
Weitere Spiele die ich in diese Kategorie stecken würde wären zum Beispiel das Spiel The Manhattan Project, ein Spiel in dem die Mitspieler darum wetteifern das bessere Atomwaffenprogramm auf die Beine zu stellen und letztlich die Atombombe zu bauen. Das Spiel betrachtet das Thema ein satirisch und meint es nicht allzu ernst, aber es mag Zeitgenossen geben, die es anstössig finden so ein Thema spielerisch zu verwerten. Oder nehmen wir Black Orchestra, ein Spiel in dem es darum geht ein Attentat auf einen Menschen zu verüben. Lässt man den Satz so stehen denken sich einige, moralisch nicht ganz ok, aber ist ja nur ein Spiel. Wenn man nun aber weiss, dass man Adolf Hitler töten soll ist das für einige die Legitimation. Moralisch bleibt es ein Dilemma und fragwürdig. Ich möchte an dieser Stelle auch noch Freedom – The Underground Railroad und Les Poilus/The Grizzled nennen, die beide thematisch kontrovers daherkommen.
Kontrovers und hoffentlich zum Denken anstossen ist auch das SPiel Rescue Polar Bears indem es genau darum geht, nämlich Eisbären zu retten. Das Spiel simuliert das Schmelzen der Eisschollen auf denen Eisbärenfamilien ausharren und irgendwann nicht mehr wissen wo hin, bis sie von den Spielern gerettet werden. Lässt man zuviele von ihnen sterben, so verliert man. Ein Spiel, bei dem man schon beim zuschauen ein mulmiges Gefühl bekommt. Aber in meinen Augen sollte man nicht die Augen davor schließen, soetwas sensibilisiert, veranschaulicht etwas, wahrscheinlich sogar besser, als es Worte tun können.
Spiele können diese Macht haben und um den Bogen zurück zur Kunst zu schlagen möchte ich noch von der Spielerfinderin Brenda Brathwaite berichten, die Spiele unter dem Tenor „The Mechanic is The Message“ als Kunstprojekte veröffentlicht. Dereinst hatte sie einen Prototyp ihres Spiels Train mit zur GDC (Game Developers Conference) gebracht, um es dort probespielen zu lassen. In dem Spiel geht es darum möglichst Effektiv, möglichst viele Passagiere in Eisenbahnwaggons zu verladen, bevor man das Ziel erreicht. Dort angekommen mußt man noch eine Zielkarte ziehen, um zu erfahren, wie es weitergeht: Dachau, Auschwitz, Bergen Belsen. Judenvernichtung als Spiel. Definitiv Kunst in meinen Augen. Aktionskunst, die ihre Wirkung mit Sicherheit nicht verfehlt hat. So weit gehen die Spiele die ich hier erwähnt habe nicht, aber sie lassen einen schon zweifelhafte Dinge tun, die einen zum Nachdenken anregen. Ich finde es wichtig das es solche Spiele gibt und wünsche mir sogar mehr davon, auch wenn sie nicht unbedingt für einen lustigen Spieleabend taugen, aber man kann diese spielerischen Mittel gerne in Schulen verwenden, um jungen Menschen bestimmte Themen besser zu vermitteln. Warum nicht?
Deshalb ist vielleicht eine Diskussion um das Kulturgut Spiel, was es bisher noch nicht ist, gar nicht so verkehrt. Schauen wir mal wohin das führt. Ich bin gespannt.
Ein Gedanke zu „Kontroverse Spiele – Können Spiele Kunst sein?“