Reisende des Südtigris – Mittelalterliche Wissenssuche im Orient

Reisende des Südtigris

Nun sind wir also bei der Südtrilogie von S.J. Macdonald und Shem Phillips angekommen. Nach der Nordsee-Reihe, in der wir uns thematisch mit den Plünderfahrten der Wikinger beschäftigten und der Westfrankenserie, in der es um die Religion und deren Verbreitung im Westen Europas ging, sind wir nun im Süden rund um Baghdad angekommen. Nach kriegerischer Stärke und Frömmigkeit beschäftigen wir uns nun mit dem Wissen und der Suche danach. Während sich in den anderen Regionen im frühen Mittelalter noch mit profaneren Dingen auseinandergesetzt wurde, machten im Orient wissenschaftliche Fortschritte die Runde, die hier allerdings nur angedeutet werden. Hauptsächlich beschäftigt sich Reisende des Südtigris mit der Erforschung und den Reisen der Menschen aus dieser Region, die sie entfernte Landstriche, das Meer und die Flüsse, genauso wie die Sterne näher betrachten ließ. Klingt wie bei allen Spielen dieser Autoren nach einem interessanten Hintergrund für die vielseitigen Mechanismen, die sie immer wieder zu einem tollen Cocktail verweben.

Worum geht es?

Die Spieler*innen spielen hier Reisende, Erforscher, Astronomen und Kartographen die wissbegierig von Baghdad aus ihre Welt mit Karawanen und Schiffen bereisen. Dabei benutzen sie Ausrüstung und Arbeiter, um ihre Erkenntnisse in ihrem Reisetagebuch einzutragen und ihr Ansehen bei den forschenden Gilden zu steigern. Hierzu müssen geschickt die Arbeiter in Form von Würfeln und Figuren auf den ausliegenden Karten und dem eigenen Tableau eingesetzt werden. Am Ende gewinnen die meisten Siegpunkte, die wir für unsere Entdeckungen und den Ausbau unseres Tableaus erhalten können.

Reisende des Südtigris: Aufbau für zwei Personen / Foto: Spieltroll

Wie läuft das ab?

Reisende des Südtigris ist ein nicht ganz einfach zu beschreibendes Spiel, bei dem zunächst auffällt, dass es sich als erstes der Trilogien vom kleinen Schachtelformat verabschiedet und sogar mit einem Inlay daherkommt, das wiederum allerdings einige Fragen aufwirft, da es mehr Platz bietet als benötigt wird. Hier wurde wohl bereits an Erweiterungen gedacht.

Der Aufbau des Spiels benötigt ein wenig Zeit. Es erinnert mich dabei sehr an die Paladine des Westfrankenreichs, bei dem wir auch an vielen Seiten des Spielbretts unterschiedliche Kartenauslagen bilden müssen. Das ist auch hier der Fall. Fünf verschiedene Kartenarten werden gemischt und jeweils Auslagen gebildet. Wir sehen Land-, Wasser-, Himmels-, Stadtbewohner- und Inspirationskarten die alle an den Rändern des Spielbretts ausgelegt werden. Je vier Karten sind offen zu sehen und auf dem Spielbrett sind an diesen Stellen jeweils Aktionen aufgedruckt. Neben den Karten gibt es auch noch offen ausliegende Marker, die ebenfalls erst in Position gebracht werden müssen. In der Mitte des Spielbretts sehen wir lauter Felder die durch Linien und Tintenkleckse voneinander getrennt sind. Anzeigemarker der Spieler*innen werden ganz links hingelegt. Das Spiel endet sobald jemand eines der letzten Felder ganz rechts erreicht. Die Spieler*innen ziehen dabei immer über die Tintenkleckse, in denen Symbole Voraussetzungen nennen, die erfüllt sein müssen, um weiterzuziehen. Ganz rechts auf dem Spielbrett befinden sich noch drei Minarette, die für die Gilden Wissenschaft, Handel und Entdecker stehen. Proviant- und Münzmarker werden als Vorrat bereitgelegt.

Reisende des Südtigris: Wasserkartenauslage / Foto: Spieltroll

Neben dem zentralen Spielbrett, das sich übrigens aus drei einzelnen Teilen zusammensetzt, die doppelseitig bedruckt sind und so ein wenig Variation bieten, haben auch die Spieler*innen natürlich Tableaus. Diese muten zunächst aufgrund ihrer Form ein wenig seltsam an, denn sie sind nicht viereckig, sondern stehen oben und unten jeweils ein wenig in Teilbereichen über. Das hat durchaus Sinn, denn auch das Tableau der Spieler*innen ist dafür ausgelegt, mit diversen Karten als Auslage ergänzt zu werden. Neben diesem Tableau erhalten die Spieler*innen drei kleine Würfel und 15 Einflussmarker in Spieler*innenfarbe, sowie einen gelben und einen blauen Arbeiter. Das Startkapital hängt von der Position in der Reihenfolge ab und setzt sich aus Proviant, Münzen und Einfluss bei der Handels- und der Entdeckergilde zusammen.

Reisende des Südtigris: Spieler*innentableau im Spielverlauf / Foto: Spieltroll

Nun kann das Spiel beginnen und der Spielablauf ist viel einfacher als gedacht. Wer an der Reihe ist macht genau einen Zug, bei dem es die Wahl zwischen drei Möglichkeiten gibt und dann ist auch schon der oder die nächste an der Reihe. Das wird solange gemacht, bis jemand das Spiel beendet, indem der Fortschritt auf der Tagebuchleiste in der Mitte des zentralen Spielbretts am Ende ist. Dann werden die Punkte gezählt und ein*e Gewinner*in ermittelt.

Reisende des Südtigris: Unsere Arbeiter / Foto: Spieltroll

Die drei Möglichkeiten sind auch, wie für ein Worker-Placement-Spiel üblich nicht besonders kompliziert, denn Möglichkeit eins ist es, einen unserer Arbeiter einzusetzen. Diese werden auf die Karten gelegt. Die Aktionen auf dem Spielbrett geben dabei die Aktionen vor, die wir ausführen können. Die zweite Möglichkeit besteht darin einen Würfel einzusetzen, was ja im Prinzip nichts anderes als ein weiterer Arbeiter ist. Die Würfel werden zu Beginn der Partie gewürfelt und geben uns eine Augenzahl vor. Die Augenzahl gibt uns über unser Tableau vor, welche Ressourcen wir in diesem Zug erhalten. Ressourcen sind neben Proviant und Münzen auch Symbole, die wir für das Einsetzen von Würfeln auf Feldern benötigen und auch Rabatte und Würfelmanipulationen für unseren Zug. Auf unserem Tableau sehen wir unter jeder Augenzahl eine Spalte mit Symbolen. Diese Spalten können wir im Spielverlauf verbessern, indem wir uns Marker kaufen, die wir hier auslegen und in späteren Zügen mehr Symbole zur Verfügung haben. Würfel werden auf weißen Quadraten eingesetzt, die wir sowohl auf unserem Tableau, als auch auf Karten finden. Das Einsetzen bringt uns weitere Aktionen oder Ressourcen. Die dritte Möglichkeit ist das Ausruhen, was wir irgendwann ausführen müssen, weil wir keine Arbeiter und Würfel mehr haben. Im Prinzip können die Spieler*innen ausruhen wann sie möchten, jedoch lohnt es sich für sie erst, wenn nur noch ein Würfel in ihrem Vorrat ist, denn dann gibt es durch Stadtbewohner und das Tableau Extraressourcen. Wenn ausgeruht wird, holen die Spieler*innen alle ihre Würfel zurück und werfen sie neu. Die Arbeiter hingegen bleiben wo sie sind. Diese können von den Spieler*innen nur über den Erwerb der Karten, auf denen sie liegen zurückerhalten werden. Der Rest ist eigentlich ein riesiger Punktesalat, bei dem es darum geht Karten möglichst sinnvoll zu unserer Auslage hinzuzufügen.

Reisende des Südtigris: Die Karawane / Foto: Spieltroll

Unser Tableau ist nämlich eigentlich nichts anderes als eine Kartenauslage aus sechs Karten mit denen wir starten. Im oberen Bereich ganz rechts befindet sich eine Himmelskarte. Daneben ist unsere Karawane mit der wir unsere Würfelressourcen ermitteln. In der unteren Reihe ist links eine Landkarte zu sehen, rechts eine Wasserkarte und in der Mitte sind die meisten unserer Würfelaktionen zu finden. Unter der Mitte befindet sich noch ein Streifen, der genauso aussieht wie der untere Bereich einer Stadtbewohnerkarte, die uns eine weitere Aktion bietet. Im Spielverlauf werden wir Landkarten erwerben, die wir links an der unteren Reihe anlegen können und somit neue Symbole und Aktionen erhalten werden. Auf der rechten Seite legen wir Wasserkarten an, die uns ebenfalls neue Aktionen bieten, aber zusätzlich auch noch ein paar Soforteffekte zeigen. Wann immer wir eine neue Karte anlegen kontrollieren wir den linken Rand und erhalten alle Symbole der Nachbarkarte an denen auf der neuen Karte ein Blitz zu sehen ist. Himmelskarten können wir nur anlegen, wenn unter ihnen bereits eine Land- oder Wasserkarte ausliegt. Sie können also sowohl links als auch rechts angelegt werden. Stadtbewohner werden unten unter die Karten geschoben und Inspirationskarten liefern Punktemöglichkeiten für das Spielende und werden von oben unter die Himmelskarten geschoben. Wir bauen uns also eine große offene Landschaftsauslage. Für Symbole auf den Karten, Markern und für Mehrheiten bei den Gilden erhalten wir Punkte und die meisten gewinnen wie üblich.

Das Fazit

Ich finde die Spiele dieses Autorenduos ziemlich phänomenal. Räuber der Nordsee deutete 2015 bereits an, dass die beiden durchaus innovative Wege gehen. Auch wenn der Rest der ersten Trilogie leider nicht das Niveau halten kann, kam mit der Westfrankenreihe dann eine unheimliche Steigerung, wie ich finde. Die Architekten hatten eine wunderbare Mechanik an Bord und waren von einer gewissen Leichtigkeit, während sie dann mit den Paladinen zum richtig großen Schlag ausholten und die Burggrafen wiederum etwas abfielen, aber wohl eine ihrer besten Mechaniken mitbrachten. Leider waren sie für meinen Geschmack ein bisschen zu überfrachtet und verkopft, so dass sie nicht ganz an die Paladine heranreichten. Die Paladine sind dann auch das Spiel mit denen ich die Reisenden vergleichen muss. Nicht nur äußerlich durch die ganzen Kartenauslagen, auch vom Schwierigkeitsgrad sind wir hier in ähnlichen Regionen. Reisende des Südtigris ist dabei ein wirklich seltsames Spiel, bei dem ich nach dem Regelstudium tatsächlich nicht wusste, wie ich es erklären sollte, denn das Spiel an sich ist ja nicht kompliziert. Lediglich die Symbolik und die ganzen Verzweigungen der unterschiedlichen Interaktionen bestimmter Aktionen und Karteneffekte macht es so komplex. Im Grunde ist es auch schnell gespielt, wenn die Spieler*innen nicht zur, für Spielrunden gefährlichen, Überanalysierung neigen, dann wird Reisende des Südtigris schnell zu einer Geduldsprobe, denn ich kann hier vortrefflich über die Konsequenzen meiner Züge nachsinnieren.

Reisende des Südtigris: Das Reisejournal in der Spielfeldmitte / Foto: Spieltroll

Ich versuchte dieses Spiel meiner frau zu erklären und sagte ihr, das ich nicht so recht wüsste, was ich ihr erklären soll. Ich zeigte ihr die Einsatzfelder für ihre Arbeiter und die weißen Quadrate für die Würfel. Der Rest ist Symbolik. Die dankenswerterweise bei den Garphil-Spielen immer relativ klar ist. Das Problem bei Reisende des Südtigris ist die schiere Masse. Sehr gut das es auf der Rückseite der Anleitung eine Übersicht gibt. Es gibt vier Landschaftstypen, zwei besondere Gebäude auf Landkarten, sechs verschiedene Symbole auf Himmelskarten, fünf für die verschiedenen Aufwertungsplättchen, fünf verschiedene Kartenfarben, vier Symbole die auf den Würfelfeldern auftauchen können, vier verschiedene Symbole in jeder möglichen Farbkombination für die Gilden, fünf für die Arbeiter, drei für die Würfelmanipulation, Proviant… usw. usw. Das ist wirklich viel und zwanzig Einsatzfelder auf dem Spielbrett mit unterschiedlichen Aktionen für unsere Arbeiter.

Sie hat das Spiel schnell verstanden, weil sie auch sehr geübt in solchen Spielen ist, aber ich hatte wirklich ein wenig Probleme es zu erklären, weil im Kern recht wenig Spiel da ist. Trotzdem ist dieses Spiel hervorragend und liegt für mich in der internen Rangliste auf einem guten zweiten latz hinter den Paladinen, ganz knapp vor den Architekten, weil es eben so wunderbar von der Hand geht und ich viele Möglichkeiten habe mich hier zu entfalten. Ich kann mir massiv
Karten besorgen und mich mit den Arbeitern durch die Aktionen wühlen, oder aber ich verstärke meine Karawane, um bessere Würfel zu spielen. Der Reiz liegt darin, den besten Weg durch all die Symbole auf den Karten und Feldern zu finden. Das macht wahnsinnig viel Spaß ohne großartig kompliziert zu sein. Trotzdem ist es ein Gehirnschmelzer, denn ich darf mein Ziel der vielen Punkte nicht aus den Augen verlieren und dazu werde ich auf der Tagebuchleiste voranschreiten müssen und die verlangt immer wieder Symbole von mir, die ich noch nicht habe und mir erst wieder besorgen muss. Die Auslage wächst und macht sich auch optisch ziemlich gut auf dem Tisch.

Ich kann dieses Spiel also nur wärmstens empfehlen. Die Anleitung ist zwar gut geschrieben aber auch wirklich seltsam gegliedert. Um den Spielablauf geht es erst auf Seite zwölf und vorher werden Spielkonzepte erklärt. Das ist genau das, was mir das Erklären so schwierig macht. Das Spiel ist irgendwie anders als andere Spiele dieses Genres und ich kann nicht so richtig festmachen woran es liegt? Hinzu kommen ein seltsames Insert und die viel zu große Schachtel. Während andere Garphil Games aus allen Nähten platzen ist hier relativ wenig drin und das einzige große sind die zentralen Spielbrettteile, die nicht in das alte Schachtelformat gepasst hätten. Das Insert bietet viel mehr Platz als benötigt wird und die einzelnen Abteilungen für die Plättchen sind so klein, das ich mit meinen riesigen Fingern, sie kaum wieder herausbekomme. Das führt zu ein paar Abzügen. Insgesamt aber ist Reisende des Südtigris für mich ein Highlight des bisherigen Jahres.


  • Verlag: Schwerkraft Verlag
  • Autor(en): S.J. Macdonald, Shem Phillips
  • Illustrator(en): Mihajlo Dimitrievski
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Spieleranzahl: 1 – 4 Spieler*innen
  • Dauer: 60 – 90 Minuten

3 Gedanken zu „Reisende des Südtigris – Mittelalterliche Wissenssuche im Orient“

  1. Hallo Spieltroll,

    danke für das interessante Review.

    Leider haben sich doch einige Tippfehler eingeschlichen, vielleicht aufgrund deiner riesigen Finger? 😉

    Grüße

  2. Huhu s.hort!
    Ja, so ein Troll hat ganz schön dicke Finger und da kannd as schonmal vorkommen. Einiges basiert aber auch auf reiner Dummheit und einem über die Jahre angewöhntem Tippbild. Du möchtest gar nicht wissen wie oft ich aus einem nihct ein nicht und aus einem merh ein mehr machen muss. Am nervigsten ist es aber nach einem Absatz sämtliche Großbuchstaben, die sich zuviel eingeschlichen haben, weil ich mal wieder KArten oder SPieler geschrieben habe zu löschen.
    Also verzeiht bitte wenn mir Dinge durchgehen oder haltet mich einfach für dumm 😉

    Die Reisenden ist wirklich ein gutes und interessantes Spiel!

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