Autistenspiele

Hinter diesem Ausspruch von Edwin Ruschitzka aus der Spielbox-Ausgabe 6/2015 zum Test von Imperial Settlers verbirgt sich ein interessanter Ansatz zur Diskussion über das Thema Interaktion in Brett- und Kartenspielen. Während der Autor, wie auch seine Kollegen in dieser Ausgabe zu einer Fehleinschätzung dieses Titels kommen, weil sie anscheinend allesamt Vertreter des gleichen Spielertypus sind, gehört Imperial Settlers unterdessen zu einem der beliebtesten Spiele überhaupt. Auf Boardgamegeek gehört es zu den Top 150 besten Spielen und wurde mit diversen Preisen überhäuft. Auch ich gehöre zu den Fans dieses Spiels. Herr Ruschitzka nannte es damals Autistenspiel, weil es über nahezu keine Interaktion zwischen den Spielern verfüge und sämtliche Spieler einfach so vor sich hinspielen, ohne miteinander in irgendeiner Form zu interagieren.

Das ist natürlich mächtig überspitzt und stimmt nicht zu einhundert Prozent, aber Imperial Settlers gehört zu einer Art von Spiel, mit der manche Spieler tatsächlich nichts anfangen können: den Multisolitärspielen. Interaktion ist dabei das Stichwort. Es scheint eine große Anzahl von Spielern zu geben, für die die Interaktion bei Brettspielen das wichtigste zu sein scheint. Des öfteren lese ich in Spielekritiken auf den einschlägigen Seiten und Blogs, dass ein Spiel über zuwenig Interaktion verfügen würde und in der Folge wird es dann in der Bewertung oder beim ziehen eines Fazits abgewertet. Wie eben auch in oben erwähntem Artikel der Spielbox, wo die Imperial Settlers auf eine 6,8 von 10 Punkten kommen.

Woher kommt denn überhaupt diese Einschätzung, eines großen Teils der Spielerschaft, das Interaktion für ein gutes Spiel so wahnsinnig wichtig sein muß? Das hat sich mir schon immer nicht erklärt. Meistens fand ich diese Spiele trotzdem sehr gelungen und ich hatte meinen Spaß damit. Ist es also ein Irrtum? Bin ich anders als die anderen? Oder sind dieses Rezensenten alle Vertreter eines anderen Spielertypus als ich selbst?

Aus meiner Sicht der Dinge ist es in der Tat ein Irrtum oder ein Irrglaube. Brettspieler rühmen sich sehr oft damit ein sehr soziales Hobby zu betreiben. Immerhin sitzen sie mit anderen Menschen am Tisch und Spielen gemeinsam ein Spiel, das muss doch sozial sein. So passt ein Spiel, bei dem die Spieler nur für sich Spielen nicht in die Weltanschauung dieser Spieler. Das gilt als unsozial und eben als nicht besonders gut, wenn man sich mitunter einige dieser Rezensionen durchliest. Ich sehe das nicht als unsozial an. Es kommt denke ich vielmehr darauf an, welcher Spielertyp man ist und wie man ein Spiel in einer Runde spielt.

Mit Letzterem meine ich ganz grob, ist das Spiel der Hauptgang des Spieleabends oder nur die Beilage. Wenn ich mich mit Leuten zum Spielen verabrede, dann ist das Spiel Mittel zum Zweck. Wir haben uns alle an dem Abend dort eingefunden, um einen netten Abend zu haben, was zu trinken und nebenbei ein Spiel zu spielen. Dabei zieht sich ein Spiel meist ein wenig in die Länge, da man zwischendurch immer wieder die neuesten Annekdoten von der Arbeit diskutiert oder in Beziehungdramen abdriftet. Das Spiel ist die Beilage für die Interaktion am Tisch und die soziale Komponente sorgen die Spieler selber. Ist das Spiel aber der Hauptgang, der Grund warum man sich überhaupt trifft, dann kann ich es verstehen, wenn man sich darüber beklagt, das ein Spiel keine Interaktion hat und man sich schweigend in sein eigenes Spiel vertieft gegenübersitzt. Auch an solchen Runden nehme ich natürlich ab und zu Teil, oder vielleicht sollte ich sagen habe ich früher viel teilgenommen. Hier steht tatsächlich das Spiel im Vordergrund und der Wettbewerb zwischen den Spielern, man möchte ein gutes Ergebnis erziehlen.

Jon Radoffs Spielertypen

Das bringt uns dann aber zu den verschiedenen Spielertypen. Der Spieledesigner und Harvard Absolvent Jon Radoff wollte seine Designs für Mobile Games verbessern und stellte dabei eine interessante These auch für Brettspiele auf. Seiner These nach gibt es nur vier Antriebe für Spieler: Immersion, Erfolge, Kooperation und Wettbewerb. Immersion und Kooperation befinden sich dabei auf der Seite der Qualität des Spielerlebnisses. Diesen Spielertypen ist es wichtiger ein gutes Spiel zu haben, als ein häufiges Spielerlebnis. Die Spieler denen die Immersion wichtig ist, sind diejenigen die eher storybasierte Spiele bevorzugen, um ein Erlebnis in einer Spielwelt zu haben. Also eher Rollenspiele oder Spiele die eine Geschichte erzählen, wie zum Beispiel T.I.M.E. Stories oder Arkham Horror. Kooperation erklärt sich ja fast von selbst, dass sind die Leute die gerne im Team spielen, wie bei Pandemie und Co. Spieler die am anderen Ende des Spektrums stehen, denen also das häufige Spielen wichtiger ist, sind eher bei den Erfolgen und dem Wettbewerb zu finden. Beim Wettbewerbsaspekt finden sich wahrscheinlich viele Magic-Spieler wieder. Mit Erfolgen ist hier allerdings nicht unbedingt das Gewinnen an sich gemeint, sondern das erringen sämtlicher möglicher Erfahrungen in einem Spiel. Wenn es zum Beispiel in einem Spiel mehrere Möglichkeiten gibt, den Sieg davon zu tragen, dann ist es für diese Spieler das höchste der Gefühle sämtliche erforderlichen Spielaspekte auszuleuchten, um diese zu erzielen. Nach Radoffs Untersuchungen sind weniger Spieler auf der Immerion/Erfolgs-Seite zu finden, als auf der Kooperation/Wettbewerbs-Seite.

Was hat das jetzt mit der mangelnden Interaktion bei Brettspielen zu tun? Ich will darauf hinaus, dass es keinesfalls ein Mangel für ein Spiel bedeutet, wenn das Spiel nicht zu den interaktivsten gehört. Der Eindruck ist nur für einen, wenngleich wohl auch größeren, Teil der Spielerschaft ein Problem, weil diese auf Kooperation und Wettbewerb stehen. Das Spiel an sich wird dadurch nicht schlechter. Von daher sollte man einen solchen Kommentar in Reviews nicht so ernst nehmen. Auch Spielrunden mit Multisolitärspielen, wie den Imperial Settlers können lustige und gesellige Runden sein, wenn die richtigen Spielertypen sie spielen und sich nicht verbissen gegenüber sitzen und nur auf ihr Spiel konzentrieren.

Brettspielen an einem Spieleabend ist also nicht per se ein soziales Event, es kommt immer noch auf die Spieler an und nicht unbedingt auf das Spiel.

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