Portrait – Wolfgang Kramer

In meiner kleinen Portrait-Reihe in denen ich euch beliebte und erfolgreiche Spieleautoren vorstellen möchte, soll heute ein weiteres Urgestein der deutschen Brettspielautorenzunft behandelt werden. Wahrscheinlich sollte ich ihn sogar als das Urgestein vorstellen. Wolfgang Kramer ist der erste professionelle Spieleautor, den wir in Deutschland hervorgebracht haben. Er hat vielen späteren Autoren gezeigt, dass es möglich ist diesen Beruf tatsächlich auszuüben, wenn ein gewisser Erfolg vorhanden ist. Wolfgang Kramer ist bis heute einer der erfolgreichsten Spieleautoren Deutschlands und wahrscheinlich sogar weltweit. Seine Spiele sind zu modernen Klassikern geworden und er hat viele von ihnen sehr oft verkaufen können. Er veröffentlicht bis heute jedes Jahr einige Spiele und mit seinem gigantischen Portfolio legt er auch immer wieder neue Versionen seiner Spiele neu auf. Neben seinen frühen Werken ist er vor allem für seine vielzähligen Kolaborationen mit anderen Autoren bekannt geworden und in die Spielehistorie zieht er nicht nur durch seine vielen meisterhaften Spiele ein, nein, auch ein Bestandteil aus vielen Eurogames, die Punkteleiste, die das Spielfeld einrahmt, stammt von ihm und trägt den Namen „Kramerleiste“.

Wolfgang Kramer wurde am 29. Juni 1942 in Bad Cannstatt bei Stuttgart geboren und zunächst deutete nicht viel auf seine spätere Karriere als Spieleautor hin. Nach eigener Aussage spielte er zwar schon recht früh mit den Großeltern die klassischen Spiele dieser Zeit, wie Mensch ärgere dich nicht, bei dem ihm seine Oma immer gewinnen ließ, aber das ist ja für Kinder in dem Alter eher ganz normal. Später als er das Gymnasium besuchte und eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei Bosch begann, spielte er viel Monopoly und begann bei einigen Spielen Regeln zu verändern und sich selber welche auszudenken. Sein beruflicher Werdegang war eher gar nicht kreativ, sondern verlief erstmal recht nüchtern, denn nach einer innerbetrieblichen Ausbildung zum Datenverarbeiter folgte ein Betriebswirtschaftsstudium und danach die Aufgabe bei Bosch das Rechnungswesen zu automatisieren. Kramer fiel das Studium nach eigener Aussage recht leicht und er hatte schon immer viel Spaß an Mathematik, so dass er viel Luft hatte sich mit anderen Dingen zu beschäftigen und dann kam seine große Leidenschaft, Spiele mit neuen Regeln zu versehen, in eine neue Phase. Er wollte ein eigenes Spiel entwickeln und so beschäftigte er sich 1972 während des Studiums damit.

Gleich bei seinem allerersten Spiel gibt es eine interessante Geschichte zu erzählen. Sein allererstes Spiel hieß Tempo, ein Spiel in dem es um Pferderennen ging und an dem er solange feilte, bis er es einfach an diverse Verlage schickte. Die Adressen suchte er sich einfach heraus und bekam tatsächlich von allen eine Antwort. Ravensburger waren die ersten denen er es zuschickte, die aber kein Interesse an dem Spiel hatten. Alle anderen wollten es verlegen und Ass bekam den Zuschlag und brachte auch gleich noch ein zweites Spiel von ihm mit dem Namen Legemax heraus. Kurz bevor Tempo aber erschien, brachte Ravensburger mit Jockey ein erstaunlich ähnliches Spiel auf den Markt und war von der Veröffentlichung Tempos nicht besonders erfreut. Ein Schelm der böses dabei denkt. Plagiatsvorwürfe kamen aus beiden Richtungen und heute interessierte das wohl keinen mehr, wenn Tempo nicht der Urvater von dem heute sehr beliebten Rennspiel Downforce wäre, das Restoration Games neu aufgelegt hat. Über die Jahre zwar nur eine von vielen Neuauflagen des Spiels, aber bestimmt die beste. Sehr erstunlich aber, das gleich das erste Spiel eines ist, das wohl die ganze Karriere von Wolfgang Kramer umspannen konnte.

Mein erster Kontakt mit einem Spiel von Wolfgang Kramer, von dem ich bis zu der Recherche für dieses Portrait, nichtmal wusste, dass es von Wolfgang Kramer ist, war Nils Holgerssons wunderbare Reise aus dem Jahr 1982 von Ravensburger. Ein Kinderspiel an das ich mich tatsächlich recht gut erinnere, das aber aus heutiger Sicht absolut vergessenswert ist. Ich war nur wirklich sehr erstaunt, als ich feststellte, dass es ein Spiel von Wolfgang Kramer war.

1984 erschien dann Heimlich & Co das für einiges an Aufmerksamkeit sorgen sollte. Zunächst kam es bei der Edition Perlhuhn heraus und wurde 1985 auf die Auswahlliste des Spiel des Jahres gesetzt. Ravensburger übernahm das Spiel dann und brachte es 1986 in neuer Optik heraus. Erneut wurde es für das Spiel des Jahres 1986 nominiert und gewann den Preis. Dies war ein riesiger Erfolg für Wolfgang Kramer. Ich selbst bekam das Spiel damals zum Geburtstag geschenkt und erinnere mich noch daran, dass es gleich mit meinen Geburtstagsgästen auf dem Kindergeburtstag ausprobiert wurde. Früher mochte ich das Spiel sehr und bis zum letzten Jahr blieb es auch aus nostalgischen Gründen in meiner Sammlung, kurz vor dem Umzug trennte ich mich aber von einem der ältesten Spiele in meiner Sammlung.

Mit Auf Achse gelang Kramer dann das Kunststück im nächsten Jahr gleich wieder für den begehrten Spielepreis nominiert zu werden. 1987 gewann Auf Achse dann tatsächlich auch noch den Preis und ließ Wolfgang Kramer zu einem der bekanntesten Autoren aufsteigen. Auf Achse ist eines der wenigen Spiele des Jahres, dass sich nie in meinem Besitz befand. Das war als Kind auch nie nötig, denn mein Kumpel Marc hatte es, daran kann ich mich noch sehr genau erinnern. Wir haben es oft in seinem Kinderzimmer gespielt. Heutzutage bin ich aber nicht mehr der größte Pick Up & Deliver-Fan, so dass ich auch nie in der Versuchung war es mir wieder in die Sammlung zu holen.

1989 kündigte er seine Stelle bei Bosch und wollte es probieren, von seinem Hobby, dem Spieleerfinden, zu leben. Er lies sich aber eine Rückkehr in den Betrieb offen und hatte drei Jahre Zeit dazu. 16 Jahre lang hatte er Spiele als Hobby entwicklet und nun sollte es sein Beruf sein. 1991 war er eines der Gründungsmitglieder der SAZ (Spieleautorenzunft) und wurde in den Jahren 1995 bis 1997 auch deren Vorsitzender.

Dann wurde es erstmal ein weniger ruhiger um ihn, bevor Mitte der 90er Jahre eine neue Welle von seinen Spielen die Welt erobern sollte. Spiele wie Big Boss und Personality erschienen und ließen mich wieder aufhorchen. Mit 6 nimmt! erschien 1994 dann wohl sein erfolgreichstes Spiel, dass sich mehrere Millionen mal verkaufte. Ein kleines aber feines Kartenspiel das sich wie geschnitten Brot verkaufte und jede Menge Preise einheimste. Es landete „nur“ auf der Empfehlungsliste für das Spiel des Jahres 1994 gewann aber den Deutschen Spiele Preis in diesem Jahr, gewann den begehrten Á la carte Preis der Fairplay und wurde 1996 auch von Mensa ausgezeichnet.

Auch wenn allein von den Verkaufszahlen her 6 nimmt! sein erfolgreichstes Spiel ist, so gelang ihm zusammen mit einem Co-Autoren 1995 ein richtig großer Wurf und ein für die Spielhistorie extrem wichtiges Spiel: El Grande. Bis heute steht es in der Top 100 der besten Spiele bei BGG. Zusammen mit Richard Ulrich entwickelte er diesen Meilenstein. Er erfand quasi im Vorbeigehen ein ganz neues Genre oder machte es zumindest dem Mainstream zugängig. Die beiden leisteten ganze Arbeit und brachten der Welt ein Area Control-Spiel, das einigermaßen abstrakt wirkt, aber so zugänglich und toll ist, dass ich es fast schon als zeitlos bezeichnen würde. Damals hatte mein Kumpel Marcel das Spiel und auf regelmäßigen Spieletagen haben wir es wirklich oft gespielt. Ich spiele es auch heute noch gern auch wenn es eines der häßlichsten Spiele ist, das dringend eine neue Version gebrauchen könnte (vielleicht ja zum 30. Geburtstag). Mit einem Schlag wurden Area Control-Spiele attraktiv und immer wieder sproßen welche aus dem Boden. Bis heute ist es mir ein Rätsel, warum der Kartenauswahl-Mechanismus nicht öfter kopiert worden ist. Das Spiel war so außergewöhnlich, das es natürlich den Spiel des Jahres Preis 1996 gewann. Ebenso den Deutschen Spiele Preis und auch den Meeple Choice Award. Ich besitze auch heute noch immer eine Kopie.

Wolfgang Kramer hatte nun also bereits für zwei wichtige Dinge in der Spielehistorie gesorgt. Die nach ihm benannte Kramerleiste und der Siegeszug des Area-Control Genres. Heute wird El Grande als „Grand Father of Area Control“ bezeichnet. Das faszinierendste an Wolfgang Kramer ist, dass er Spiele mit Co-Autoren sehr gut entwickeln kann und das zu einer Art Markenzeichen wurde. Meist traf er sich kaum mit ihnen sondern die gesamte Kommunikation fand über Fax und Telefon statt, wir befanden uns ja noch in der Mitte der 90er Jahre und Internet für die breite Masse war noch böhmische Dörfer für Deutschland. In dieser Zeit begann die Zusammenarbeit mit Michael Kiesling aus Wehye, einem Ort aus der Peripherie von Bremen, von dem ich nur unweit entfernt aufgewachsen bin. Die beiden arbeiten bis heute sehr erfolgreich zusammen, was die Spieleentwicklung angeht. Tikal, Torres, Mexika, Java, Glück auf, Die Paläste von Carrara, Raja, Abluxxen und die Arbeit ist noch nicht getan, denn ich denke da könnte noch was kommen. Savannah Park war zu letzt ein durchaus beliebter Titel. Tikal ist schon wieder einer dieser Titel, nicht nur, dass das Spiel sowohl den Spiel des Jahres Preis im Jahr 1999 gewann, als auch den Deutschen Spiele Preis im selben Jahr gewann, nein, es erfand mit dem Aktionspunktesystem erneut eine völlig neue Mechanik. Auch Torres wurde im Jahr 2000 gleich wieder Spiel des Jahres. Dabei hatte er mit seinem alten Kumpanen Richard Ulrich 2000 mit den Fürsten von Florenz gleich noch ein tolles Spiel am Start.

Ihr seht schon die Spielehistorie von Wolfgang Kramer ist schier endlos an guten Titeln und Auszeichnungen. Er gewann insgesamt fünfmal den begehrten Preis Spiel des Jahres. Zweimal allein, zweimal mit Michael Kiesling und einmal mit Richard Ulrich. Den Deutschen Spielepreis konnte er ebenfalls dreimal gewinnen, sowie einmal im Kinderspielbereich mit Piraten-Pitt. Corsaro, ebenfalls ein Kinderspiel, gewann den 1991 noch nicht vorhanden Kinderspiel des Jahres Preis in Form eines Sonderpreises der Jury. Er wurde drei weitere Male für das Spiel des Jahres nominiert (2004 Raja, 2005 Verflixxt und 2008 Blox), hat bis heute laut Boardgamegeek 254 Spiele veröffentlicht und mehr als 30 seiner Titel verkauften sich mehr als 100.000 Mal.

Die meisten seiner Spiele mag ich wirklich sehr. Sie zeichnen sich durch eine unkomplizierte Gradlinigkeit aus, die ich sehr schätze. In vielen Interviews kommt er mir wie ein netter Mensch vor und wer ihn über Brettspiele mal hat dozieren hören, der weiß, dass er einen unfangreichen Wissenschatz und Wortwitz sein eigen nennt. Ich möchte mein kleines Portrait mit Worten aus einem Interview mit Tom Vasel beschließen.

„Brettspiele sind eine Brücke die Menschen zusammenbringt. Spiele zu spielen ist Jogging für unseren Geist; Freiheit, ein Ereignis, ein Abenteuer, eine Entdeckung, Spaß und Herausforderung zugleich. Brettspiele sind wie das wahre Leben, aber sie haben nichts mit dem wahren Leben zu tun, weil alles nur im Spiel passiert. Die Realität ist ernst, Spielen ist das Gegenteil; eine Freude.“

Interviews by an Optimist #73 (frei aus dem Englischen)

Bekannteste Werke von Wolfgang Kramer:

  • El Grande (1995)
  • Die Fürsten von Florenz (2000)
  • Tikal (1999)
  • Downforce (2017)
  • Colosseum (2007)
  • 6 nimmt! (1994)
  • Torres (1999)
  • Mexika (2002)
  • Glück auf (2013)
  • Die Paläste von Carrara (2012)
  • Raja (2004)
  • Abluxxen (2014)
  • Java (2000)
  • Heimlich & Co. (1984)
  • Auf Achse (1987)
  • Mitternachtsparty (1989)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.